Aktuell 

 06.09.2008

Protokoll des Interviews mit Daniel Ambühl, Radio 1, am 6.9.08, 10.45 Uhr in der Wissenssendung "Planet Ambühl"

Guten Morgen

DA: Was ist eigentlich der Grund, warum Sie ein solches Portal www.alkoholpolitik.ch  gemacht haben mit einer Sammlung von wissenschaftlichen Informationen zum Thema Alkohol?

HTM: Das ist eigentlich meine ganze Lebensarbeit gewesen. Ich habe mich mein Leben lang der Alkoholpolitik, der Prävention und der Rehabilitation gewidmet. Ich habe mich vorzeitig pensionieren lassen und erfahren, dass der Name noch frei ist als Webseitenadresse. Ich habe ihn sofort reservieren lassen und begonnen, die Webseite aufzubauen. 2001 ist sie aufgeschaltet worden.

DA: Eine unglaubliche Menge an Daten, an Informationen, auch wissenschaftlichen Studien, die da immer hereinkommen zum Thema Alkohol. Ist es nicht frustrierend, da kommen so viele negative Meldungen herein über die Wirkung einer Droge, die den Menschen weitgehend schadet?

HTM: Ja, das ist frustrierend, ganz sicher, aber man muss damit leben und immer wieder probieren in der Hoffnung, dass es doch einmal bessert.

DA: Gerade am Montag hat die Drogenbeauftragte der deutschen Bundes-Regierung in einer Pressemitteilung die Resultate von 7 neuen Studien publiziert, die belegen, dass Jugendliche früher und mehr konsumieren wegen Alkoholwerbung. Können Sie zu diesen Studien noch etwas sagen.

HTM: Ich kenne diese Studien im Detail nicht, aber ich weiss, dass es immer wieder solche Studien gegeben hat, auch eine mit Zürcher Beteiligung, Prof. Rehm ist an einer beteiligt gewesen. Früher hat es ja immer geheissen, Werbung nütze nichts, sie diene nur dem Wettbewerb unter den Marken. Aber wer ein bisschen gesunden Menschenverstand braucht, weiss einfach, dass sie nützt, sonst würde nicht geworben. Man hat nun vor allem auch untersucht, wie die Werbung auf Jugendliche wirkt.  Und ist eindeutig zum Schluss gekommen, dazu gibt es auch in Amerika wieder Studien, dass die Jugend früher anfängt und mehr trinkt, wenn sie der Werbung ausgesetzt ist.

DA: Ein Problem, das Sie auch angesprochen haben auf Ihrer Homepage, ist das Problem der Hausärzte. Eigentlich müssten die Ärzte den Menschen sagen oder Hinweise geben, nicht so viel zu trinken. Aber viele dieser Ärzte haben selber ein Problem mit Alkohol. Können Sie zu dieser Studie noch etwas sagen?

HTM: Ja, die ist schon im Januar 2007 herausgekommen. Man hat herausgefunden, dass die Ärzte mehr als der normale Durchschnitt konsumiert. Beim Rauchen ist es genau umgekehrt. Die Raucher haben offenbar etwas gelernt und rauchen weniger als der Durchschnitt, es gibt also mehr Alkoholkonsumenten und auch mehr Risikotrinker als beim Durchschnitt.

DA: Also mehr Risikotrinker unter den Hausärzten als unter der normalen Bevölkerung?

HTM: Ja, 30% zu 15%, heisst es da.

DA: Das heisst, es sind schlechte Voraussetzungen, die Hausärzte einzusetzen, den Leuten beizubringen, weniger zu trinken.

HTM: Ja das ist eigentlich das Problem. Denn man muss annehmen, dass einer, der selber ein Alkoholproblem hat, wahrscheinlich nicht so interessiert ist, das Problem mit den Patienten zu besprechen, er müsste sich im Grunde selber ein bisschen ändern, und das ist sehr schwierig. Es zeigt, dass Arzt ein Risikoberuf in Bezug auf Alkohol ist. Wahrscheinlich ist es auch stressbedingt. Man müsste da sehr viel machen und auch bereits in der Ausbildung anfangen, damit die Ärzte eine andere Haltung gegenüber dem Alkohol gewinnen.

DA: Prioritär wäre der Alkohol das Problem, das man zuerst hätte anpacken sollen, vor dem Tabak, weil nach der Studie der englischen Wissenschafter, die Schäden durch Alkohol insgesamt grösser sind als beim Tabak. Warum ist das nicht passiert? Und wie lange geht es wohl noch, bis  Alkohol in gewissen Restaurants auch verboten wird wie heute das Zigarettenrauchen?

HTM: Ich glaube, man kann das so erklären, dass beim Tabak die wissenschaftliche Aufarbeitung früher gekommen ist. Und vor allem durch die Prozesse, die dann in Amerika angestrengt wurden, hat die Tabakindustrie sehr schnell an Image verloren. Das hat dazu geführt, dass in der Bevölkerung ein Umdenken stattgefunden hat. Heute will fast jeder Raucher einmal aufhören, aber er hat die Kraft nicht dazu.

     Beim Alkohol ist das etwas anders. Die stark wissenschaftliche Behandlung des Themas ist eigentlich von der Alkoholindustrie ausgegangen. Man kann das schon sagen: Sie hat angefangen, massenhaft wissenschaftliche Untersuchungen an die Öffentlichkeit zu bringen. Dabei versuchte sie, den gesundheitlichen Wert von Wein oder auch von Bier hervorzuheben. Sie hat damit eine Art Gegenoffensive lanciert  in der Hoffnung, dass es bei ihr nicht auch so kommt, wie beim Tabak. Aber ich glaube, dass in der öffentlichen Meinung auch langsam ein Umdenken stattfinden wird. Denn wir zahlen uns dumm und dämlich an den Sozialkosten, die der Alkohol verursacht. Der Witz ist, dass, wenn der Konsum gesenkt würde, jeder davon profitieren könnte; sogar der mässige Konsument, der immer das Gefühl hat, es ist ja nicht sein Problem, was soll er sich dafür einsetzen? Er hätte am meisten davon, wenn die Steuern heraufgesetzt würden, weil er nur wenig zahlte für Steuern und viel mehr zurückerhielte über Steuererleichterungen, Krankenkassenprämiensenkungen, aber auch ganz allgemein an Lebensqualität, weil die Sicherheit zunehmen würde.

DA: Danke vielmals, Hermann T. Meyer von www.alkoholpolitik.ch, schönes Wochenende.

HTM: Danke gleichfalls.

(Ab Mitschnitt aus der Mundart übertragen von H.T. Meyer)

Die erwähnten Studien:

PRESSEMITTEILUNG Drogenbeauftragte der Bundesregierung, 1.9.08,   International, 1.9.08

Use of tobacco and alcohol by Swiss primary care physicians: a cross-sectional survey / Alkohol- und Tabakkonsum bei Schweizer Hausärzten: eine Querschnitt-Studie  13.01.2007

Development of a rational scale to assess the harm of drugs of potential misuse / Entwicklung einer rationalen Skala zur Erfassung der Schäden von Drogen mit Missbrauchspotenzial.  (U.K.) (Forschung, 24.3.07)

Ergänzungen zum Inhalt:

Bekanntlich kommen einem die besseren Antworten immer nachträglich in den Sinn. Auch war die Zeit zu kurz für ausführliche Ausführungen. Deshalb hier einige mögliche Ergänzungen:

1. Motivation: Es gab bisher kein Medium, das in der Alkoholfrage ungeschminkt Stellung bezog. Alle scheuen aus verschiedenen Gründen das Thema oder haben keine Zeit, kein Interesse, keine Mittel, usw. In Amerika gibt es die sogen. Watchdogs, konsumentenfreundliche Organisationen, die für die Sache kämpfen. Hier können die Medien ungehindert falsche oder halbwahre Informationen streuen und die wenigsten merken oder kümmert es.

2. Frust: Die Hoffnung, dass endlich die Politiker ihren Amtseid ernst nehmen und ihre Sonderinteressen hinter die des Landes, der Wirtschaft und der Bevölkerung stellen, ist eine der Motivationen. Der Frust ist für die Fachleute natürlich auch gross, die in ihrer Arbeit ständig von den Politikern desavouiert werden.

3. Jugend und Alkoholwerbung:  Es handelt sich um eine Metastudie, welche die Ergebnisse von 6 früheren Studien untersuchte und verglich. Auf den 25. September hat Sabine Bätzing zu einer Fachkonferenz in Berlin eingeladen, an der namhafte Fachleute dieses Thema behandeln. (siehe Veranstaltungen, 25.9.08)

4. Ärzte und Alkohol: Ein Versprecher wäre zu berichtigen: Ärzte trinken mehr und risikohafter als der Durchschnitt. 66% waren Alkoholkonsumenten und dazu 30% Risiko-Trinker, d.h. 96% gegen 78% des Durchschnitts. Wovon doppelt so viele Risikotrinker, 30%:15%. Gerade in den letzten Tagen haben die Medien über eine Forschungsarbeit der Uni Basel im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit berichtet, wonach Gynäkologen und Hebammen sehr unterschiedlich über die Risiken des Alkoholkonsums in der Schwangerschaft aufklären. In der EU wird der 9. September als Tag der Bewusstheits-Förderung in Bezug auf alkoholbedingte foetale Erkrankungen propagiert. Vielleicht berichten die Schweizer Medien darüber. Informiert sind sie. (siehe Forschung, 4.9.08)

5. Alkohol schlimmer als Tabak: In der angedeuteten Studie haben englische Wissenschafter eine Neubewertung der Gefährlichkeit der legalen und illegalen Drogen vorgenommen. Dabei wurde Heroin an 1. Stelle, Alkohol an 5. und Tabak an 9. Stelle gesetzt:
Development of a rational scale to assess the harm of drugs of potential misuse / Entwicklung einer rationalen Skala zur Erfassung der Schäden von Drogen mit Missbrauchspotenzial.  (U.K.) (Forschung, 24.3.07)

Ich muss natürlich berichtigen, dass viele Raucher die Kraft hatten und haben, von dieser Sucht wegzukommen und für diese Leistung grosse Anerkennung verdienen. Ich sprach die Gruppe der noch Rauchenden an. Zu den wissenschaftlichen Arbeiten, die alkoholische Getränke als gesundheitsfördernd darstellen, ist grösste Skepsis angebracht. Die Alkoholindustrie hat in Washington ein eigenes Institut (ICAP), das sicherlich die Kampagne koordiniert. Es ist nachgewiesen worden, dass die meisten Forschungen, die mässige Konsumenten mit Abstinenten verglichen haben, den Begriff "Abstinente" missbräuchlich verwendet haben, was zu alkoholfreundlichen Resultaten führte. (siehe Dossier "Alkohol sei gesund")

Steuern auf Alkoholika sind bekanntlich die wirksamste Methode, den Konsum und damit die Schäden zu senken. Leider sind die Politiker auf diesem Ohr ziemlich taub. Nur bei den Alcopopsteuern haben sie richtig, wenn auch zu schwach und nicht nachhaltig, d.h. nicht auf die Ausweichaktionen der Alkoholindustrie reagiert. Der Konsum der Jugendlichen ist langfristig gesehen immer noch ansteigend. Eine tragbare Lösung wäre unsere Projekt-Idee.

 

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Stand: 03.01.2009